Peakbagging
Manche Sammeln Bücher, andere Kunst, Mineralien oder Briefmarken. Ich sammle Gipfel.
Auf Englisch ist das Phänomen bekannt unter dem Namen «Peak bagging». Dabei handelt es sich um keine so exotische Aktivität wie man meinen könnte, es gibt zahlreiche Websites, die sich damit befassen und sogar Vereine, die es sich zum Ziel gesetzt haben, bestimmte Gipfel zu sammeln. Besonders ambitionierte (und finanziell privilegierte) haben es sich zum Ziel gesetzt, die «Seven Summits» zu sammeln. Reisefreudige sammeln Landeshöhepunkte, andere die höchsten Gipfel von Gebirgsgruppen, Bergsteiger die 4000er der Alpen. Und dann gibt es da noch die eher wenige bekannte Gruppe derer, die Gipfel mit einer bestimmten Schartenhöhe oder Prominenz (von engl. prominence) sammeln, wozu ich gehöre.
Peak bagging von Bergen mit bestimmter Schartenhöhe und Dominanz
Die meisten denen ich erzähle, dass ich berge sammle, können mit dem Begriff Schartenhöhe nichts anfangen. Einfach gesagt ist die Schartenhöhe ein Mass für die Selbständigkeit eines Gipfels. Je grösser, die Schartenhöhe, desto eigenständiger ist der Berg. Sie errechnet sich als Differenz aus der Gipfelhöhe und der höchstgelegenen Einschartung, bis zu der man mindestens absteigen muss, um einen höheren Gipfel zu erreichen. Ein Beispiel: Der Säntis hat eine Höhe von 2502 m. Der nächsthöhere Gipfel ist der 2523 m hohe Magerrain. Der tiefste Punkt zwischen diesen beiden Gipfeln liegt im Seeztal bei Mels mit einer Höhe von 487 m. Höhe Säntis – Höhe Pass ergibt eine Schartenhöhe von 2015 m. Die Distanz (Luftlinie) zwischen Säntis und Magerrain (eigentlich der 2502 m Linie im Hang des Magerrains) nennt sich Dominanz (engl. Isolation). Der Säntis «dominiert» in einem Radius von 26 km seine Umgebung. Der Berg mit der höchsten Schartenhöhe und Dominanz in den Alpen ist der Mont Blanc, weltweit ist es logischerweise der Mount Everest, denn er wir durch keinen Berg übertroffen.
Dass Berge mit grosser Schartenhöhe und Dominanz eine besonders gute Aussicht haben, ist wohl das wichtigste Argument, seine Ziele nach diesem Kriterium zu filtern. So kann man sich sicher sein, dass der höhere Nachbar nicht den Blick versperrt.
Für peakbagger sind Berge mit Schartenhöhen von über 1500 m ein besonders grosser Anziehungsmagnet. Für sie hat sich der Begriff «Ultras» (ultra prominent peaks) etabliert. In den Alpen gibt es 43 Ultras.
Das Problem mit der Definition: Punkt, Gipfel oder Berg?
In den Alpen gilt nach einer von der UIAA getroffenen Festlegung eine Erhebung als Gipfel, wenn ihre Schartenhöhe mindestens 30 Meter beträgt. Darunter spricht man von Nebengipfeln oder «Punkten». Die Grenze, ab wo ein Gipfel als eigenständigen Berg bezeichnet werden kann, ist umstritten. Manche sind Anhänger von 100 Metern (vor allem im Mittelgebirge sinnvoll), manche von 300, im Himalaya fordert man gar 500. Der Sammler hat nun die Qual der Wahl, wo er die Grenze ziehen will. Ich persönlich habe mich für die Alpen auf eine Höhe von 300 m festlegt. Selbst damit stehe ich jedoch vor einer Lebensaufgabe, kommen so doch über 2000 Gipfel zusammen. Reise ich in ferne Länder, muss die Messlatte freilich höher gesetzt werden. Das heisst aber bei weitem nicht, dass ich mich ausschliesslich auf solche Gipfel beschränke, schliesslich habe ich nicht jedes Wochenende Lust, stundenlang im Auto zu sitzen und der Spassfaktor gewisser Routen auf «nicht prominente Berge» ist ebenfalls wichtig.
Motivation
Warum das Ganze fragt sich manch einer jetzt bestimmt? Geht da nicht der Genuss verloren, wenn man einen Gipfel nur besucht, weil man ihn «einsammeln» will?
Meiner Meinung nach muss das nicht der Fall sein. In der Tat gibt es peakbagger, die so weit es geht auf den Gipfel hinauffahren, um dann mit einem Gipfelselfie das Erreichen des Ziels zu bestätigen. Zu der Kategorie gehöre ich nicht. Durch das peakbagging habe ich schon viele tolle Gipfel entdeckt, die mit sonst gar nicht aufgefallen wären. Das Ausschlusskriterium Schartenhöhe erleichtert mir zudem die Auswahl eines Ziels.